2012 Chinareise – zum 4. ISCT Culture Festival nach Kaifeng

Auszug: Reisebericht nach China vom 20.04. bis 09.05.2012

In diesem Jahr lockte das von der ISCT ( International Society of Chen Taijiquan ) veranstaltete „International Taijiquan Culture Festival – 2012“ nach Kaifeng. Die Reise sollte nicht nur Sightseeing sein, sondern erhielt ihre Anziehungskraft vor allem durch die Workshops, welche von den Meistern Chen Peishan und Chen Peiju abgehalten wurden.

 

21. bis 23.04.2012, 上海 / Shanghai:

Während ein Großteil der deutschen Teilnehmer über Beijing als Gruppe anreiste flog ich einige Tage früher nach Shanghai. An einem Abend sollte die Swing – Szene von Shanghai im Melting Pot kennen gelernt werden. Sonntags wird hier ab 17Uhr Lindyhop getanzt. Gegen 19Uhr kommt sogar eine Band mit dazu. Orchid ist der Kopf der Szene, sie organisiert hier alles und unterrichtet auch selbst. Von den anwesenden sind 4 Chinesen dabei, unter denen sich zwei herausragende Tänzer befinden. Durch die tolle Life-Band gestaltete sich der Abend in ein echtes Luxusambiente. Der Eintritt ist frei. Die Getränke sind teuer. Nach einer Weile habe ich reichlich getanzt, das dritte T-Shirt durchgeschwitzt und eine Menge Spaß gehabt.

 

23. bis 29.04.2012, 郑州 / Zhengzhou:

Die Provinz Henan liegt Südöstlich von Peking und ist vor allem für das Shaolin-Boxen und Taiji der Familie Chen, was aus dieser Region stammt bekannt. Zhengzhou ist die Provinzhauptstadt von Henan. Vom Flughafen fährt der Shuttlebus für 15Yuan ( 2€ ) innerhalb von 45min zur Innenstadt. Als mich der Bus im Zentrum vor einem Hotel heraus lässt warten schon einige Taxifahrer. Sie freuen sich einen Ausländer zu sehen der einen riesigen Koffer dabei hat und normalerweise auch kein chinesisch spricht. Beim Verhandeln weigern sie sich konsequent den Zähler einzuschalten und wollen mich zum Festpreis von 60 Yuan ( 8€ ) zum Ramada Hotel fahren. Das lehne ich ab und laufe die Hauptstraße bis zur nächsten Kreuzung, wo ich mir ein anderes Taxi herwinke. Die Fahrt dauert 10min und ich bezahle 10Yuan. Das Hotel Ramada, liegt abseits in einem etwas ruhigeren Umfeld. In den kommenden Tagen liegen die Temperaturen bei 26°C. Ein Hochhaus beherbergt das ISCT-Büro im 13. Stock, denn es laut Fahrstuhl eigentlich nicht gibt. Hier steht nur Etage 12A. Chinesen sind abergläubisch und tricksen gerne, um Unglückszahlen aus dem Wege zu gehen. Als ich eintrete bin ich überrascht in einem geräumigen Trainingsraum mit Spiegelwänden zu stehen. Hier erfahre ich, dass meine Landsleute mit dem Bus anreisen werden, weil mit dem Zug etwas schief gelaufen ist. Spät am Abend kommen sie dann nach 13h Fahrt an und sind alle ziemlich fertig. Unsere Dolmetscherin Frau Zhang Lei telefoniert dann mit dem Ramada-Hotel und handelt einen guten Preis für 20 Leute aus. Das Doppelzimmer kostet so 400 ( 50€ ) Yuan und das Einzelzimmer 350Yuan, inklusive Frühstück. So habe ich hier am gleichen Tag 14Uhr ausgecheckt und bin um 24Uhr wieder zurück.

links: Das ISCT-Büro befindet sich im „Chen Xin Taijiquan Forschungs- & Trainings Institute Chenjiagou, rechts: 24Uhr Checkin: Nach 1h sind 20 Leute abgefertigt.

 

Das Training beginnt morgens um 9:30Uhr in einer Turnhalle die sich in der 16. Etage einer Shopping Mal befindet. Bisher sind lediglich drei Koreaner, und eine Gruppe von Chinesen aus Chengdu und Guangzhou mit in der Runde. Für uns bedeutet das damit wir Meister Chen Peishan fast für uns alleine haben. Anfänglich wird die Sizheng – Kurzform analysiert und gemeinsam überarbeitet. Am Ende werden Details verbessert und Variationen aufgezeigt, um auch eine gewisse Flexibilität aufzuzeigen die in der Form verborgen liegt.

Training mit Meister Chen Peishan

 

Der Vorteil in der Shopping Mal ist, dass wir in der Mittagspause einfach nur in den 14. Stock hinunterfahren brauchen, wo verschiedene Restaurants zur Auswahl stehen. Von Koreaner, Sushi-Bar, Steak-Haus, Pizzeria und zahlreichen chinesischen Spezialitäten ist alles dabei.

 

Am 27.04. sieht sich Meister Chen die Yi Lu – Form an und versucht uns gerade in den ersten 3 Positionen zu korrigieren plus Partneranwendungs-Aspekte üben zu lassen. Eine ideale Kombination, da sich so individuelle Defizite besser herausfinden lassen.

Fahrstuhl auf dem Weg zur Turnhalle in die 16. Etage

 

Abends nehmen einige eine Massage in der TCM-Klinik neben einer Apotheke. 1h kosten 50 Yuan ( 6 € ). Danach fühlen wir uns etwas freier. Vor allem in den Füßen, Beinen und Rücken wurde einiges bewirkt. Danach geht es in ein Restaurant. Die Bestellung wird aber ein Fehlschlag, weil ich vergesse zu sagen dass wir kein Glutamat im Essen haben wollen. Nach 2 Bissen ist der komplette Mund mit einem Film überzogen und die Lippen fangen an zu zittern. Fürchterlich, wir sind satt und essen nur etwas Reis, um den Mund zu säubern. Das morgendlich Frühstück im Hotel schmeckt uns allen dafür umso besser. Mich freut es dass der Kaffe schmeckt, denn ich bin wieder auf den Geschmack gekommen. Meine Begleiter dagegen sind verwundert dass es hier keinen grünen Tee gibt.

Am 28.04. steht der ganze Tag im Zeichen von Schritt-Techniken, Tuishou und Partnerapplikationen. Eine Besonderheit ist heute das Tuishou mit Kreisförmigen Bagua-Schritten zu absolvieren. Für viele eine knifflige Angelegenheit. Der Tag ist anstrengend und erfordert von jedem hohe Konzentration. Spaß macht es jedenfalls eine Menge. Das gute Trainingsklima lässt sich daran erkennen dass es keine Verletzungen gibt. Ein Aspekt der auffällt und häufig von vielen Tuishou Workshop – Veranstaltern ausgeblendet wird.

     

links: gute Fußmassage ist ein Highlight,       rechts: Gruppenfoto nach den Pre-Workshop

 

 

29.04. bis 02.05.2012, 开封 / Kaifeng:

Die Busfahrt von Zhengzhou dauert 3h. Im Stadtzentrum hält der Bus vor einem großen, einladenden traditionellen Tor. Darauf steht 开封宾馆 / Kaifeng Binguan. Der Hof ist geräumig mit einem schönen Brunnen versehen. Ringsherum befinden sich hellgraue Mauergebäude. Alle haben ein traditionelles Dach, sind mit Holzfenstern und roten Lampions versehen. Der erste Eindruck regt wahre Begeisterung hervor. Die Zimmer sind einfach und ohne übermäßigen Luxus gestaltet. Am Abend möchte einer der chinesischen Taiji – Lehrer zum Nachtmarkt bringen. So finden wir uns bald auf einem kleinen lebhaften Platz mit Garküchen der moslemischen Hui-Nationalität wieder. Es dauert nicht lange und der Tisch beginnt sich zu biegen. Eine Menge Bier und Gutes essen wird aufgetakelt. Plötzlich erscheint ein kleines Mädchen, ca. 5 Jahre alt, in einem Kostüm mit ihren Eltern. Sie fängt laut und kräftig an zu singen, unterstützt durch filigrane Tanzbewegungen. Wie eine kleine Diva präsentiert sie Ihre Vorführung. Wir sind alle überrascht und beeindruckt.

Am 30.04. finden die großen Demonstrationen an der Henan – Universität statt. Zu Beginn begeistert eine schöne Drachentanz-Darbietung die Zuschauer. Es folgen die modernen Wushu – Darbietungen wie man sie kennt, sobald öffentliche Institutionen eingebunden sind.

Wushu – Forführungen im Vorprogramm:

Das Interesse steigt als Chen Peishan eine freie Darbietung mit einer traditionellen Erhu Musik gibt und damit den Übergang zu den klassischen chinesischen Traditionen einleitet. Natürlich erntet er dafür großen Applaus. Chen Peiju zeigt eine souveräne Schwertperformance.

             

links: Chen Peishan mit einer formlosen Form,         rechts: Chen Peiju mit Schwert

 

In der Mittagspause gelingt es uns mit Hilfe von Frau Zhang Lei ein Interview mit Si Guo Liang durchzuführen. Er ist der älteste Schüler von Chen Pei Shan’s Vater und somit nicht nur ein begnadeter Taiji – Könner, sondern auch ein wandelndes Geschichtslexikon. Am Nachmittag folgen weitere Auftritte der verschieden Länderfraktionen. Dabei sticht der junge Japaner, Nakano Daisuke, besonders hervor. Schließlich kommt der Auftritt der Deutschen Delegation mit der Sizheng Form. Dabei stehen Anny und Thomas links und rechts neben der Gruppe und geben ein Intro mit Ihrer Karbatsche. Dabei handelt es sich um eine traditionelle Peitsche vom Bodensee. Nach der Aufführung überreichen Sie je eine Karbatsche als Gastgeschenk an Chen Peishan und Chen Peiju. Insgesamt dürfte das die Leute aus Kaifeng besonders angesprochen haben, da es hier in den Parks ebenfalls Gruppen gibt die mit großen Peitschen herum knallen. Jedenfalls konnten wir großen Applaus mitnehmen.

links: SiZheng-Kurzform der deutschen Delegation,                 rechts: Karbatschen-Intro

 

Während einer Vorführung tut sich ein Chinese im gelben Anzug hervor. Er überrascht durch den heute selten ausgeübten Handstand Kick, wie er in Chen Liqing’s und Chen Xin’s Publikationen abgebildet ist. Als unser Lehrer Dietmar Stubenbaum mit seine Vorführung beginnt wurde es ziemlich ruhig in der Halle. Die wenigen Fajin die man zu sehen bekam waren mit einer sehr speziellen Präsenz versehen. Man konnte quasi spüren wie sich die Körperstruktur in spiralförmigen Bahnen ausrichtet, um wie mit einer Stange auf der Mittelachse entlang seine Verbund-Kraft heraus zu katapultieren. Am Schluss stehen 6 Männer in der Halle die alle schon das 60. Lebensjahr überschritten haben. Jeder bewegt sich eigen. Einige mit permanenter Power, andere im Wechsel zwischen Ruhe und Dynamik. Einige werden passagenweise von den Zuschauern bejubelt. Ganz vorn in der Mitte jedoch bewegt sich Si Guo Liang ganz ruhig, ohne Fajin oder Geschwindigkeitswechsel. In seiner eigenen Art bleibt er unbeeindruckt. Alle anderen sind mit ihrer Darbietung fertig. Er jedoch hat noch den vierten Abschnitt vor sich und verlässt als letzter den Platz. Dietmar Stubenbaum sagt dass er der älteste und beste aus der Gruppe ist.

 
   

links: der Handstandkick,                 rechts: Si Guo Liang schreitet in die Position des Buddha-Wächters

links: Tuishou – Routine,                         rechts: Hellebarde – Form

 

links: D.Stubenbaum,             rechts: Am Ende der Demonstrationen liefen alle Anwesenden die Sizheng – Form gemeinsam

 

Am 01. Mai sind wir wieder in der Henan – Universität. Heute wurden hier Vorträge zu folgenden Themen abgehalten:

  1. „Taijiquan Training and Research“
  2. „Autismus and Taiji“
  3. „A new education subject at a school in Germany – Xiaojia Taijiquan“
  4. „Primary Investigations to Master Chen Lixians Wushu Thoughts“
  5. „Reconstruct Cultural Soil, Decend Chinese Wushu”
  6. “Breaktrough of Taijiquan Culture in the Puzzledom of Clan Origination”

 

02.05.2012, 陈家沟 / Chen Jia Gou:

Die Reise zum Heimatort der Familie Chen und ihrer Kampfkunst dauert über 3h. Als wir ankommen sehen wir schon die wuchtigen Baustellen, welche an neuen Taiji – Schulen für Taiji-Touristen arbeiten. Zum Glück ist der Wahnsinn noch nicht fertig und wir hoffen dass es in Zukunft hier keine Zustände wie in Shaolin geben wird. Im Innenhof hinter dem Eingang gibt es eine Gedenkrede neben der neuen Statue von Chen Wang Ting. Später besuchen wir den Friedhof, auf dem eine Zeremonie am Grab des Vaters von Chen Peiju und Chen Peishan abgehalten wird. Der verstorbenen Tante Chen Liqing wird ebenfalls eine Gedenkminute gewidmet.

 

02. bis 06.05.2012, 郑州 / Zhengzhou:

Die Workshops finden diesmal direkt bei Chen Peiju im Trainingscenter statt. Mit ca. 15 Teilnehmern ist die Gruppe überschaubar geworden. Am ersten Tag werden Varianten das „Baumstamm-Stehen“ ( Zhan Zhuang ) geübt. Alles jedoch mit permanent „gerundetem Schritt“ ( Yuan Dang ) und „geöffnetem Damm“ ( Kai Dang ). Frau Chen nimmt sich viel Zeit, um jeden Einzelnen Anweisung zu geben was besser gemacht werden kann. Der Unterricht findet in kleinen Einheiten statt. Zwischendurch folgt die Aufforderung etwas Wasser oder Tee zu trinken. Später üben wir die Bewegung „drei Schritte vorwärts“ ( San Shang Bu ). Chen Peiju legt Wert darauf dass die Füße schmal zueinander ausgerichtet sind und die Schritte groß ausgeführt werden, wobei der Körper seine Struktur beibehält. Dazu demonstrierte Frau Chen und Ihr Assistent mit einem Stock, der beide über die Mittelachse verbindet, das Prinzip der Kraftübertragung. Anschließend versuchten alle diesen Sachverhalt ohne Stock mit Partner umzusetzen. An jenem Abend können alle ihre Hüften spüren. Nach den letzten Trainingseinheiten machen wir noch einige Fotos. Wir bedanken uns bei allen Anwesenden. Frau Chen kündigt an das sie möglicherweise bald nach Deutschland kommen wird. Sie fordert uns auf bis zum nächsten Mal besser zu werden.

Training mit Chen Peiju im „Chen Xin Taijiquan Forschungs- und Trainings Institute von Chenjiagou“

Blick aus dem Trainingsraum offenbart bäuerliche Nutzflächen

links Dietmar Stubenbaum und in der Mitte Chen Peiju

 

06. bis 08.05.2012, 西安 / Xian:

Der Schnellzug ist ein schickes Teil. Nach der Ankunft fahren wir mit zwei Taxis in die Jugendherberge. Kleine gemauerte Häuser mit Höfen, traditionellen Dächern, Grün-Pflanzen, ähnlich wie in einem Hutong total verwinkelt. Die Gebäude wurden früher als Kaserne von der Armee genutzt. Es ist einfach schön hier, man fühlt sich pudelwohl.

Laut Anzeige fährt er mit bis zu 280km/h.

 

Bild links: Innenhof Jugendherberge von Xian,       Bild rechts: Straße mit Blick zum Drum Tower

Christian und ich entscheiden uns gemeinsam die Parks zu durchsuchen, in der Hoffnung auf andere Xiaojia – Praktizierende zu treffen. Kurz nach dem Eingang eines Parks im Osten der Stadt befinden wir uns vor einem großen See. Gegenüber steht ein traditioneller Gebäudekomplex. Ich grinse Christian an und sage: Lass und doch einmal in die offene Tür dort hineinschauen. Als wir durch die Tür treten stehen wir in einen beeindruckenden Trainingsraum der locker für 50 Menschen Platz bietet. Wir sehen zwei Chinesen die mit einer Übung beschäftigt sind. Kurz drauf kommen wir ins Gespräch. Man bestätigt unsere Vermutung, dass es sich hier um die Schule Meister Chen Yongfu handelt. Wir gehen auf die Bitte der beiden ein etwas von unserem Taiji zu zeigen. Danach sind beide ganz happy und überrascht von Ausländern das seltene Xiaojia Taiji zu sehen. Das war also der definitive Eisbrecher. Danach fragen wir ob wir auch etwas von der berüchtigten 108er Langfaust-Form sehen dürfen. Dem Wunsch wird entsprochen und wir sind begeistert. Damit haben wir den Beweis dafür bekommen dass Chen Liqing’s ( Tante von Chen Peishan und Chen Peiju ) Lebenswerk nachhaltig weitergegeben und gepflegt wird. Denn sie ist es gewesen, welche die Pflege und Überlieferung der 108’er Langfaust-Form in der Familie Chen wieder aufgenommen hat. Damit konnte der fast verloren gegangen Link zur Familien-Kampfkunst aus der Zeit um Chen Wang Ting (ca. 1600-1680) wieder hergestellt werden.

Bild links: Taiji-Schule von Chen Yonfu im Park,       Bild rechts: links Lehrer Li und rechts ein Schüler

Am Ende der Reise können wir auf ein intensives Trainingspensum zurückschauen. Jedem war es möglich verschiedene Taiji-Meister und fortgeschrittene Schüler in Aktion zu erleben oder sogar persönlich kennen zu lernen. Weiterhin konnte seltene Fachliteratur erworben werden. Für viele die das erste Mal mit nach China gekommen waren zeigte sich eine völlig unerwartete Welt auf. Wir alle hatten eine schöne und intensive gemeinsame Zeit verbracht. Mein besonderer Dank dafür richtet sich daher an unseren Lehrer Dietmar Stubenbaum, Dolmetscherin Frau Zhang Lei, Chen Peishan, Chen Peiju und den Organisatoren der ISCT in China.

/ Jens Weinbrecht






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